Einen multinationalen Konzern für einen Traum verlassen

LEBEN IN GEMEINSCHAFT
Ich war von Vielem überrascht, als ich vor ein paar Monaten beschlossen habe, meine Position als Manager in einem multinationalen Unternehmen zu verlassen, um zur Verwirklichung der Träume des spirituellen Volkes von Damanhur beizutragen. Viele waren über meinen Mut erstaunt, über diese Entscheidung, die angesichts der Vorurteile zu Begriffen wie Spiritualität, Gemeinschaft, Volk und Mythologie zumindest seltsam erschien.
In der Tat war auch ich überrascht, wie ich diese Wahl erlebt habe: mit der Natürlichkeit eines weiteren Schrittes auf einem schon seit einiger Zeit eingeschlagenen Weg. Auch aus diesem Grund habe ich mich oft gefragt, was mich spüren lässt „am richtigen Ort und Kontext“ zu sein, und eine der Antworten hat mit der Beziehung zwischen der Verwirklichung eines kollektiven Traumes und dem eigenen individuellen Wachstum zu tun. Darin liegt eine Alchemie, die als Katalysator wirken kann, um das Beste aus sich herauszuholen und Prozesse zu beschleunigen.
Ich hatte diese Dynamik schon anderswo in meinem Leben erfahren. Die visionären Projekte und Initiativen zur Veränderung der Welt in der Zeit von Aiesec, einer internationalen Studentenvereinigung, in der ich zum ersten Mal wirklich glücklich war, und verstanden habe, dass „hart arbeiten und wild feiern“ ein Stammesgefühl und Zugehörigkeit erzeugt. Ein anderes Beispiel sind die Start-ups, bei denen der Wunsch nach Innovation und Umsetzung besteht, und die Energie erzeugen, die sie im Namen einer Idee dazu bringt, Hindernisse und Schwierigkeiten zu überwinden. Oder die multinationalen Konzerne, in denen der Wettbewerb oft die Zusammenarbeit erschwert, aber wo ein aufeinander eingespieltes Team der ideale Vorposten für die Kultivierung und Einführung von Projekten ist, aus denen der Samen der Veränderung spießen kann.
Ich kenne und besuche Damanhur seit über 20 Jahren und vielleicht brachte mich auch das dazu, mich selbst und die Ereignisse mit dem Auge und dem Herzen derer zu beobachten, die mit Modellen und Erfahrungen experimentiert haben, die unsere westliche Kultur oft mit Leichtigkeit in ein schlechtes Licht rückt. So bemerkte ich mehr und mehr mein Unbehagen, wenn Menschen nur nach ihren Verhaltensweisen beurteilt wurden anstatt ihre wahre Essenz zu „sehen“, wenn ich die Interpretation der Absichten anderer auf Grund manchmal wirklich banaler Ereignisse mitbekam, oder wenn ich die mehr oder weniger direkte Aufforderung sich den Denkweisen anderer anzupassen, spürte. Schon immer daran gewöhnt, „nicht alles, aber etwas von allem“ zu tun und dadurch das immense Bedürfnis in mir zu spüren, Initiativen mit ehrgeizigen Zielen Qualität und Tiefe zu verleihen, sah ich mit einer gewissen Enttäuschung, wie die Kultur des „Ende zu Ende“ (d.h. des Managements vom Konzept bis zur Fertigstellung), falls dies falsch verstanden wurde, in den Organisationen immer kleinere Inseln, die durch immer größere Meere getrennt waren, erzeugt hat.
Mit Neugierde habe ich mich, als Konsequenz einer natürlichen Evolution meines Weges, dazu entschlossen, mit einem Kontext zu experimentieren, in dem persönliche und kollektive Entwicklung in untrennbarer Synergie gesehen und gelebt werden. Die Steigerung der Individualität und der Vielfalt, indem sie zu sozialen Werten erhoben werden, sind die Punkte, von denen ich glaube, dass sie grundlegend sind, um sich bewusst zu werden, dass sich über die Kultivierung der persönlichen Einzigartigkeit der eigene Wert entwickeln lässt.
Wenn man lernt sich selber zu beobachten, wird einem bewusst, dass man sich in Wirklichkeit gar nicht verändert, sondern sich besser kennen und führen lernt. Dies zu entdecken hilft auch den Blickwinkel anderen gegenüber zu verändern und ihnen einen anderen Wert zuzuschreiben: im Besonderen den des Spiegels. Für mich war es immer sehr hilfreich zu merken, wir meine Reaktionen auf Verhaltensweisen anderer oft umso emotionaler waren, je mehr mein Gegenüber mir Teile wiederspiegelte, die ich an mir selbst nicht mochte. Diese Dynamiken offen mitzuteilen, bereichert die Teambildung und die Beziehungen im Team enorm.
Die Anderen als Vervollständigung von uns selbst statt als “Rivalen” anzusehen, erlaubt uns, das Rennen – alles zu tun um aufzufallen – zu verlangsamen und uns zu fragen was wir uns wirklich wünschen. Gleichzeitig ermöglicht uns das offene Miteinander, über die anderen Zugang zu Talenten und Fähigkeiten, die man so erkennen und zu schätzen lernt.
Es mag banal erscheinen, aber in einem Kontext, in dem die Suche nach der besten Seite des Gegenübers wertgeschätzt und das Bewusstsein darüber genährt wird, kommt es zu einem Prozess, der in der Theorie der Maslowschen Pyramide beschrieben wird: das eigene Gefühl der Sicherheit wächst und das Gefühl der Zugehörigkeit und die Wertschätzung, das ich erlebe, befreit die eigene Kreativität.
Dann ist es möglich, an die Umsetzung neuer Paradigmen zu denken, in denen die kollektive Intelligenz in allen von Howard Gardner theoretisch beschriebenen Facetten von den spezifischen Fähigkeiten der beteiligten Individuen umgesetzt wird: linguistische, logisch-mathematisch, räumlich, körperlich-kinästhetisch, musikalische Intelligenz, körperlich-kinästhetische, musikalische und emotionale Intelligenz (sowie interpersonale und intrapersonale, die naturalistische und existenzielle oder theoretische Intelligenz).
Wenn diese magische Kombination in den Dienst gemeinsamer Projekte gestellt wird, wird es möglich den Startup-Ansatz beizubehalten indem der Ansatz Fail fast, fail often (schnell scheitern, oft scheitern) dank aufmerksamer Köpfe, Augen, Ohren und Herzen, die fein aufeinander abgestimmt sind, ausgeglichen wird, da sie fähig sind die Zeichen von allem was verbessert werden könnte zu erfassen und umzusetzen.
Wenn es nun wirklich wahr ist, dass wir Spiegelneuronen besitzen, dann ist die besondere Aufmerksamkeit des Fokus innerhalb einer Gruppe und die Weise, in der wir in einer Gruppe zusammen arbeiten eine Schwingung, die sich ausbreitend auch diejenigen in Resonanz bringen kann, die mit ihrer Bewusstheit ein bisschen zurückgeblieben sind, oder sich einfach in einem der Momente befindet, in denen selbst ein Heiliger seine Geduld verliert.
Max Ramaciotti