Kurzfilm über Damanhur von Ivan Olita

ERFAHRUNGSAUSTAUSCH
Im Juni dieses Jahres kam der Filmdirektor Ivan Olita nach Damanhur, um ein Video für die Serie „Retreats“ von NOWNESS, die Gemeinschaften und Individuen erkundet, die nach ihren eigenen Regeln leben, zu drehen. Im Video verfolgen wir das Leben von Celastrina, einer jungen damanhurianischen Bürgerin aus dem schwedischen Stockholm, die erst vor 3 Jahren nach Damanhur kam. Über ihre Geschichte erforscht das Video die spirituellen und sozialen Werte von Damanhur und wie diese im persönlichen Leben der damanhurianischen Bürger gelebt werden.
Als wir Celastrina zu ihrer Erfahrung mit den Dreharbeiten befragten, antwortete sie:
„Es ist immer interessant, über die eigene Geschichte zu sprechen und über persönliche Entscheidungen, die dich zur aktuellen Lebenssituation gebracht haben, denn um das machen zu können, musst du erstmal über all das nachdenken, und das führt letztendlich dazu, dass du dich dadurch besser kennenlernst. Über mich hinaus die ganze Gemeinschaft zu repräsentieren, wie in diesem Fall, war natürlich ein wenig anspruchsvoll. Vor allem, weil ich, seit ich in Damanhur angekommen bin, gemerkt habe, dass jeder Mensch hier Damanhur anders wahrnimmt, obwohl alle mit der Gemeinschaft die gleichen Grundwerte teilen. Das variiert je nach den zugrundeliegenden persönlichen Geschichten und Situationen.
Als Endprodukt ist das Video jedoch eine schöne und poetische Darstellung geworden: Eine persönliche Geschichte, die in eine größere Geschichte verwoben ist. Deshalb denke ich, dass Ivan in seiner künstlerischen Interpretation der Gemeinschaft eine optimale Arbeit geleistet hat. Für mich war das Lernen und Arbeiten für diesen Film eine interessante und auch bereichernde Erfahrung, nicht zuletzt, weil ich gesehen habe, wie Ivan, ein beruflicher Direktor, mit dem Set arbeitet.“
Es folgt ein Interview mit Ivan über seine Erfahrung in Damanhur, die auf NOWNESS (nowness.com) in Bezug auf das Video veröffentlicht wurde.
„ES ÜBERRASCHT…ES IST ERSTAUNLICH”
Interview mit Ivan Olita
Wie hast du Damanhur entdeckt, und was hat dich zu der Entscheidung gebracht, hier zu filmen? Was hat dich angezogen?
„Ich habe Damanhur zum ersten Mal als Jugendlicher entdeckt. Ich erinnere mich an eine Freundin, die mir davon erzählte. Damals lebte Falco, der Gründer der Gemeinschaft, noch und seine Aktionen in der Gemeinschaft hatten sehr viel Medienpräsenz in Italien. Wir werden vom Vatikan regiert und alles, was nicht der katholischen Lehre entspringt, wird irgendwie als abweichend von der offiziellen Kirchenlehre angesehen. Ich erinnere mich, dass diese Gemeinschaft mich damals neugierig gemacht hat…
Außerdem hatte ich Interesse daran, eine Trilogie über den Glauben zu drehen. Ich ging nach Kyoto, um die Tendai-Mönche zu dokumentieren, die sich einem qualvollen Training aussetzen, um zur Erleuchtung zu gelangen. In Italien dokumentierte ich den für den Vatikan wichtigsten Exorzisten, und dies hier schien mir ein interessantes Schlusskapitel zu sein.”
Inwiefern hat Damanhur dich überrascht?
„Die gesamte Idee einer esoterischen Gemeinschaft in einer kleinen italienischen Gemeinde ist ziemlich überraschend. Auch Damanhur ist nicht selbstversorgerisch unabhängig. In Wirklichkeit ist es aus verschiedenen Mikro-Siedlungen, die im ganzen Tal verstreut liegen, zusammengesetzt. Es ist also auch aus sozialen und architektonischen Perspektiven ziemlich interessant zu sehen, wie sich Tal und Gemeinschaft integrieren… Man würde erwarten, dass Damanhur komplett unabhängig ist, und ich kann mir vorstellen, dass es das aus einem akademischen Blickwinkel auch ist, aber es hat eine intrinsische „italienische Art“ im System, die wegen der verstreuten Natur der Gemeinschaft wohl unausweichlich ist.
Es ergibt sich dadurch ein interessantes Patchwork: ein typisch italienisches Restaurant neben einem damanhurianischen Geschäft, daneben ein Komplex an Häusern, in denen man einige esoterische Wissenschaften studieren kann. Abgesehen von Damjl, der „Hauptstadt” der Gemeinschaft, merkst du gar nicht, dass du in Damanhur bist, es kommt dir so vor, als würdest du nur eine Runde durch die italienischen Täler drehen. Der Tempel… naja, unzählige Bücher wurden über ihn schon geschrieben, aber unabhängig davon kann ich sagen, er überrascht – er überrascht wirklich.”
Hat die Spiritualität dieses Ortes die Art und Weise, mit der du dich den Dreharbeiten gewidmet hast, beeinflusst? Hast du dich wie ein Teilnehmender oder wie ein distanzierter Beobachter gefühlt: ein Anthropologe oder ein Anhänger?
„Ich fühle mich immer wie eine Art Anthropologe, und auch wenn ich keine systemische Herangehensweise an meine Gegenüber habe, muss ich sie bis zu einem gewissen Maß analysieren und meine Analysen in Bezug zu anderen Personen, anderen Kulturen und anderen Dingen bringen…, es ist schon so, dass ich eine starke Verbindung mit denen, die ich filme, entwickle. Das ist fast so eine Art Zauber, das heißt, ich bin immer sehr davon gepackt. In diesem Fall geschah dies vor allem durch Celastrina (Rebecka). Sie hat das gleiche Alter und hat auf gewisse Weise einen ähnlichen Hintergrund wie ich. Während wir dort in den Bergen gedreht haben, habe ich mich oft dabei erwischt, mich zu fragen … Und wenn du dich entschieden hättest, hier zu leben?“
Wirst du nach Damanhur zurückkommen und warum?
„Ich komme ganz sicher zurück! Ich denke auch daran, bald wieder herzukommen. Ich sehe Damanhur als Zentrum für die Entwicklung des menschlichen Potentials. Da ist nichts besonders Seltsames dran…und es werden Seminare unterschiedlichster Art angeboten, auch für eine ganze Woche…, wenn man daran interessiert ist, Alchemie und luzides Träumen zu studieren oder die Zeit oder vergangene Leben zu erforschen.“
Vorher hast du einen Film über den Katholizismus und den Exorzismus gedreht, der zum ersten Mal auf NOWNESS präsentiert wurde. Auf welche Weise unterscheidet sich unsere spirituelle Gesellschaftsform von den ältesten Formen des Christentums?
„Der Hauptunterschied besteht, ohne auf Einzelheiten einzugehen, darin, dass die Damanhurianer keinerlei Dogmen folgen, während der Katholizismus eine ziemlich dogmatische Religion ist. Der Exorzist, dem ich begegnet bin, war allerdings sehr erleuchtet und fähig, zu den Wurzeln seines religiösen Glaubens vorzudringen. Er kannte die Schriften gut, und über ihn wurde das Christentum für mich eine eher metaphysische Erfahrung. Im Gegenteil dazu glauben die Damanhurianer an die persönliche Ermächtigung und die versteckten Gesetze des Universums. Es gibt kein Dogma, es geht darum, das alte Menschheitswissen wiederzuentdecken und in die Praxis umzusetzen.”
Auf Grund dessen, was du gesehen und gefilmt hast, hast du eine Idee, weshalb Menschen sich dafür entscheiden könnten, in Damanhur oder in irgendeiner spirituellen Gesellschaft außerhalb der normalen Gesellschaftsstrukturen zu leben? Ist es eine Reaktion gegen die Grausamkeiten, die Entfremdung und die Überlastungen der modernen Gesellschaft?
Die Menschen in Damanhur, wie auch in anderen Gemeinschaften der Welt, wie Auroville (oder in kleinerem Maß Esalen in Kalifornien) versuchen nur die Art, in der wir das Leben leben können, zur Diskussion zu stellen. Ich denke, dass diese Gemeinschaften offensichtlich Teil der Gegenkultur der 60iger Jahre sind, aber jetzt sind sie sicher auf der Rückkehr zum Rampenlicht.
– Interview von Owen Gwynne Vince
Interview veröffentlicht von NOWNESS am 8. Oktober 2018.