Abuk, die Göttin, die die Freiheit erobert

SPIRITUALITÄT IN DAMANHUR
Abuk ist eine weibliche Gottheit des Dinka Volkes, das aus dem Gebiet des Sudan im Nordosten Afrikas stammt. Sie und Garang stellen im Mythos die erste Frau und den ersten Mann dar, ein Paar, das Eva und Adam in der biblischen Tradition ähnlich ist.
Sie befanden sich als Statuetten aus Terrakotta in einem Gefäß, aber erst nach dem Öffnen des Gefäßes wurden sie lebendig. Der Schöpfergott des Universums gab Abuk und Garang nur ein Korn Hirse oder Mais pro Tag. Aber eines Tages beschloss Abuk, von Hunger geplagt, sich von diesem so gar nicht großzügigen Gott unabhängig zu machen und begann das Land zu bewirtschaften. Der dadurch beleidigte Schöpfer hörte auf, sie zu ernähren und für sie zu sorgen. Der Zorn des Schöpfers brachte Tod und Krankheit auf die Erde, aber mit ihrer Tat hatte Abuk ihrem Volk beigebracht, sich das Essen zu besorgen, das sie brauchten, und dadurch gelang es allen zu überleben.
In anderen Erzählungen ist Abuk die Göttin des Flusses und hat einen anderen Gefährten, Deng, den Gott des Regens; gemeinsam bringen sie Überfluss. Obwohl die Geschichten unterschiedlich sind, ist Abuk immer ein Symbol für Fruchtbarkeit.
Abuk ist die Urfrau, die erste und einzige wichtige weibliche Figur des Dinka-Volkes, als wollten sie damit betonen, dass Abuks Eigenschaften die aller Frauen sind.
Es gibt viele Analogien zur biblischen Eva – die Terrakotta, aus der sie geformt wird, die Verletzung der Beziehung zum Schöpfer durch Nahrung, der Zorn Gottes – aber der endgültige Sinn ihres Lebens wird auf eine völlig andere Weise interpretiert: Abuk manifestiert die Freiheit, besser noch: sie ist die Freiheit, um Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, die Rebellion also gegen das, was jemand anderes etabliert hat. Durch die Entscheidung, ihre eigenen Bedürfnisse zu respektieren, befreite sie sich vom Schutz ihres Schöpfers, der sie aber eigentlich gefangen hielt und eröffnete ihrem Volk den Weg der Erfahrung und des Wachstums, wenngleich auch verbunden mit der Mühsal des Lebens. Es ist kein Zufall, dass aus ihrer Vereinigung mit einem anderen freien Wesen – Deng – Fruchtbarkeit und Fülle entstehen für die Menschen, die sie als Referenz gewählt haben.
Abuk ist eine Gottheit, die durch spirituelle Freiheit, Unabhängigkeit von einem herrschaftlichen Gott und den Aufbau eines eigenen Lebens, Befreiung bringt. Es ist die Gottheit des Erwachsenenalters, die uns sagt, dass wir die Urheber unseres eigenen Schicksals sind. Wir haben die Pflicht, unserem Bewusstsein gemäß Entscheidungen zu treffen und das Recht, uns einen langen, bereichernden, freien Weg zu unserem Glück zu wünschen. Es überrascht nicht, dass es wieder eine weibliche Kraft ist, die uns an diese Dinge erinnert. In einer freieren Welt könnten wir auch die Geschichte von Eva auf diese Weise interpretieren und in ihrem Akt der Rebellion einen Akt der Befreiung erkennen.
Heutzutage braucht ein großer Teil der Welt oft Abuk. Immer dann, wenn die geschichtsträchtigen Religionen ihre Anhänger in einem Glauben gefangen halten, der sie zu Mustern zwingt, in denen es keinen Raum für freien Willen und die aus Liebe entstehende individuelle Freiheit zu geben scheint. Oder wenn die Politik bereits festgefahrene Wege beschreitet, in denen Ideologien den Einsatz von Intelligenz und Dialog verhindern. Sogar die Welt der Wissenschaft mit ihren Gewissheiten, die mittlerweile zu Begrenzungen geworden sind, zeigt immer öfter das Bedürfnis, den Mut wiederzuentdecken, aus ihren Denk- und Erkenntnisgewohnheiten herauszutreten, um nach wirklich neuen Wegen zu suchen.
Heutzutage manifestiert die Menschheit tagtäglich Zeichen ihres Erwachens, ihres Verlangens nach Harmonie, nach Freiheit, nach der Verbindung mit den anderen Lebensformen; wenn wir es bemerken, freuen wir uns, und es gibt uns sehr viel Vertrauen in die Zukunft. Aber es sieht fast nach einem Gegenschlag aus, dass es trotz alledem immer noch viel zu viele Bedingungen gibt, unter denen sich die individuelle Freiheit im Innersten eines jeden nicht ausdrücken kann, weil sie durch Traditionen, Dogmen, weltliche Konflikte und unfaire Wirtschaftspolitik extrem eingeengt wird.
Es ist wichtig, dass Abuk zum Herzen derer spricht, die unter diesen Bedingungen leben und ihnen zuflüstert, dass es weder Menschen noch Götter gibt, die das Gewissen der Menschen übernehmen und ihre Handlungen lenken können. Abuk sollte die Herzen der jungen Menschen inspirieren und ihnen beibringen, dass die Zukunft denen gehört, die sie mit Mut und Entschlossenheit aufbauen. Kein Gott, keine Wissenschaft und keine Politik braucht den Gehorsam der Menschen, aber alle brauchen unser Herz und unsere Ideen.
Wir bitten Abuk, sich zu manifestieren und diese Dinge denen zu erzählen, die sie noch immer nicht hören können. Denken wir an sie, betrachten wir ihr Abbild und senden wir ihr unsere dankbaren Gedanken. Sie, ihre Stärke und ihre Erfahrung kann denjenigen den Wunsch nach Freiheit nahe bringen, die ihn in sich noch nicht gefunden haben.
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