Gibt es universelle Werte?

LEBEN IN GEMEINSCHAFT
Eine neuere anglo-amerikanische Universitätsstudie schlägt eine Idee über die ethischen Visionen im Menschen vor, die einerseits ziemlich erschütternd und andererseits eher tröstlich sind. Die Geschichte suggeriert den Weg unserer Spezies betreffend ein Bild, das ausschließlich auf Krieg, Unterdrückung und dem Versuch großer und kleiner Kräfte beruht, über die anderen zu herrschen. Sogar die inoffizielle Geschichte, die von Atlantis und von großen galaktischen und zeitlichen Imperien spricht, bietet die gleiche Vision.
Und selbst die jüngste Geschichte, die uns eine Welt zeigt, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges überwiegend in Frieden ist, unterliegt einem starken Wettbewerb, den die Großmächte auf wirtschaftlicher und politischer Ebene führen. Kurz gesagt, alles scheint darauf hinzudeuten, dass Ethik für jeden Menschen und für jedes Volk etwas Egozentrisches und auf die eigenen Interessen bezogenes ist.

Tempel der Menschheit, Damanhur
Nun sagt der britische Anthropologe Oliver Scott Curry, von der Universität Oxford im Vereinigten Königreich, dass dem nicht so ist. Ein Forschungsprotokoll der Universität von Yale, Connecticut, USA, hat über 600 Dokumente ethisch-kultureller Natur von rund sechzig verschiedenen Gesellschaften gesammelt. Laut Curry und anderen Anthropologen zeigen die Untersuchungen, dass es ethische Werte gibt, die allen Gesellschaften gemeinsam sind: die Herkunftsfamilie, die Gruppe der Mitarbeiter, Mut, die gerechte Verteilung von Gütern und Ressourcen, Dankbarkeit, Respekt vor Vorgesetzten und Respekt vor Eigentum. Es gäbe also universelle moralische Regeln.
WAHR IST, WAS IST
Die anglo-amerikanische Forschung klärt aber nicht vollständig die Logiken, auf Grund derer Menschen sich zueinander verhalten, weshalb sie seit Jahrtausenden, obwohl sie so viel gemeinsam haben, immer mehr Gewicht auf das geben, was sie unterscheidet.

Tempel der Menschheit, Damanhur
Gemäß eines wiederkehrenden Satzes in der Lehre von Falco Tarassaco, sind die Realität und die praktischen Errungenschaften genauso wichtig wie die Prinzipien und Absichten, „Wahr ist, was ist“. Die menschliche Spezies hat zweifellos eine Vision von gemeinsamen ethischen Werten, wie sie in der akademischen Forschung dargelegt wurden. Das sind Werte, in denen sich jeder wiedererkennen kann und auf deren Grundlage sich die Zivilisationen der Menschen entwickelt haben.
Es sind jedoch unvollständige Werte für die Entwicklung einer langen menschlichen Geschichte: Der Wert des Respekts für das gemeinsame Zuhause, das heißt für die Erde, fehlt. Die Gefahr ihrer Zerstörung, die durch Ausbeutung und Verschmutzung entsteht, scheint nicht in Betracht gezogen zu werden.
In ähnlicher Weise fehlt in diesem gemeinsamen Paradigma der Drang nach Studium und Wissen, die doch so viel Bewegung in die menschliche Geschichte gebracht haben.
Vor allem aber, so würde Falco sagen, fehlt ein Element, das so tiefgreifend verinnerlicht ist, dass es kaum erkennbar ist: der Mensch gehört zur Natur, und die Natur basiert auf einem ständigen Wettbewerb, auf dem Kampf ums Überleben, um privilegierte Positionen zu erlangen, auch auf Kosten anderer Arten. Vor allen anderen Aspekten basiert also darauf auch das menschliche Verhalten.
DIE IDENTITÄT DER VÖLKER
Sind wir daher dazu bestimmt, ununterbrochen im Kampf zu leben, der auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht wird, aber grundsätzlich immer auf der Trennung und Nichtanerkennung anderer beruht?
Keine Sorge, die Antwort lautet „Nein“. Vielleicht, weil wir unheilbare Optimisten sind, vielleicht, weil wir mit so vielen verschiedenen Menschen und vielen verschiedenen Gruppen aus jeder Ecke der Welt in Kontakt stehen, sind wir der Meinung, dass nach und nach ein starkes Gefühl der Solidarität, des Erwachens im Entstehen ist, an dem immer mehr Menschen beteiligt sind.

Tempel der Menschheit, Damanhur
Um dieses Gefühl zu nähren, müssen wir die Unterschiede schätzen. Ja, diese sollten sogar der Klebstoff sein, der die menschlichen Gruppen verbindet. Die Unterschiede sind das Licht, das die Werte, die uns vereinen, ins Auge springen lässt. Das Treffen, der Austausch, das gegenseitige sich Kennenlernen zwischen den Völkern ist das Schlüsselelement für diese Phase. Zuallererst ist die Identität jeder menschlichen Gruppe, jedes Volkes von grundlegender Bedeutung.
Die „Leidenschaft“ der Damanhurianer für den Kontakt mit weit entfernten Völkern führte zu Treffen mit Schamanen, Häuptlingen, Vertretern verschiedener ethnischer Gruppen. Das Ziel ist dabei nicht, die Ansichten zu standardisieren, sondern im Gegenteil, jedes Volk – ethnisch, spirituell, kulturell – bei der Definition seiner eigenen wichtigen Werte zu unterstützen.
Wenn Selbstbewusstsein vorhanden ist, ist es möglich, auf andere zuzugehen und gemeinsam eine friedliche Zukunft aufzubauen. Dies gilt für Einzelpersonen und Völker: Auf diese Weise können sich gemeinsame ethische Werte behaupten.

Labyrinth im Tempel der Menschheit, Damanhur